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»Sei furchtlos, lese so viel wie möglich, schreibe so viel wie möglich«

12.06.2020

Foto: Olivier Favre

Als ich für den Emons-Verlag 2019 an den »111 Orten in Mönchengladbach« arbeite, komme ich auch kurz mit Rebecca Gablé in Kontakt. Die studierte Literaturwissenschaftlerin und Expertin für mittelalterliche englische Literatur ist eine prominente Stadttochter und bekannt für ihre dichten historischen Romane. Diese werden in vielen Sprachen übersetzt und in Deutschland schaffen sie es bis auf die SPIEGEL-Bestseller-Liste.

Ich freue mich, dass sich die sympathische Autorin Zeit genommen hat, um hier ein paar Fragen rund um mein Thema »Schreiben« zu beantworten.

VA: Liebe Frau Gablé, was bedeutet Erfolg für Sie? Hat sich Ihre Definition im Laufe der Zeit verändert?
RG: Ich denke, Erfolg bedeutet, selbst gesteckte Ziele zu erreichen. Diese Ziele ändern sich natürlich im Laufe der Jahre. 1994 war für mich ein champagnerkorkenwürdiger Erfolg, nach mehrjähriger Suche und über 30 Absagen einen Verlag zu finden, der meinen ersten Roman veröffentlichen wollte, auch wenn dieser Roman sich dann eher übersichtlich verkaufte. Heute bedeutet Erfolg, mit jedem neuen Roman ein gleichbleibend großes Publikum zu erreichen. Meine beiden letzten Romane waren Nr. 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Das habe ich als Erfolgs-Meilenstein empfunden. Aber man darf diesen öffentlich sichtbaren Meilensteinen auch wiederum nicht zu viel Bedeutung beimessen, denn es würde bedeuten, die eigene Erfolgsbilanz vom Kaufverhalten des Publikums abhängig zu machen – ein Faktor, auf den man nur bedingt Einfluss hat. Wichtiger für die persönliche Zufriedenheit ist es, von dem veröffentlichten Werk selber überzeugt zu sein.

VA: Wenn es auf einmal keine Leser*innen mehr gäbe, würde Sie immer noch schreiben (wollen)?
RG: Vermutlich ja. Ich habe als junges Mädchen damit angefangen, ohne dabei an Veröffentlichung oder Publikum zu denken. Schreiben ist wohl einfach mein Vehikel des kreativen Ausdrucks und hat darum nur in zweiter Linie mit der Rezeption durch ein Publikum zu tun.

VA: Wie behalten Sie die Übersicht über Handlungsstränge und Charaktere? Wie organisieren Sie sich praktisch?
RG: Über meine Figuren schreibe ich ausführliche „Dossiers“, bevor ich mit dem Roman-Manuskript beginne, die äußerliche Erscheinung, eine Charakterisierung und eine Biografie (auch über ihr Leben vor Beginn der Romanhandlung) enthalten. Dort kann ich immer wieder nachschlagen, wenn ich z.B. das Geburtsdatum oder die Augenfarbe eines Protagonisten vergessen habe. Für den Handlungsablauf habe ich eine „Timeline“ der historischen Ereignisse und eine ungeordnete Ideensammlung, die ich während der Entstehung des Manuskripts ständig erweitere, aber keine detaillierte Struktur. Ein bisschen kreatives Chaos muss schon sein. ;-)

VA: Wo liegt der schönste oder ungewöhnlichste Ort, an dem Sie schon geschrieben haben?
RG: Mein schönster Schreibort ist meine Zweitheimat Mallorca.

VA: Kennen Sie Schreibblockaden? Wenn ja, was tun Sie? Wenn nein: Woran, glauben Sie, liegt das?
Nein, ich hatte noch niemals eine Schreibblockade. Ein Sprichwort sagt: „Amateure starren aufs Meer und warten auf Inspiration, Profis setzen sich an den Schreibtisch und fangen an zu arbeiten“. Das ist nach meiner Erfahrung ein sehr kluger Satz. Natürlich gibt es Tage, an denen ich das Gefühl habe, heute geht gar nichts, ich bin nicht kreativ und mir fällt nichts ein. Aber dann darf man nicht weglaufen, sondern im Gegenteil, man muss sich mit seiner Arbeit auseinandersetzen. Die letzten geschriebenen Seiten lesen und überarbeiten oder ein wenig für die Recherche lesen – irgendwo tut sich ein Türchen zurück ins eigene Werk auf, und es geht weiter. Aber man muss schon danach suchen.

VA: Haben Sie ein Schreibritual oder eine Schreibroutine?
RG: Kein Ritual, aber natürlich eine Routine. Ich sitze meistens recht zeitig an meinem Computer. Morgens lese ich historische Fachliteratur zu meinem Romanthema. Irgendwann am späten Vormittag wende ich mich meinem Manuskript zu, lese die letzten fünf Seiten, finde – wenn ich Glück habe – den Anknüpfpunkt und schreibe weiter.

VA: Sie sind eine erfahrene Autorin. Welchen Schreibtipp geben Sie Menschen, die sich an ihren ersten Roman wagen?
RG: Sei furchtlos, lese so viel wie möglich, schreibe so viel wie möglich und probiere dich aus. Stresse dich nicht damit, was andere vom Geschriebenen halten werden, sondern geh davon aus, dass dein erstes Manuskript für die Schublade ist, dein ganz persönlicher Autor*innen-Sandkasten. Vieles am Schreiben ist erlernbares Handwerk, aber wie beim Tischlern muss man auch dieses Handwerk lernen und üben, ehe man es beherrschen kann. Schreibratgeberbücher oder -seminare können dabei helfen, sich einen „Werkzeugkasten“ anzueignen, etwa die Methoden der Figurencharakterisierung oder des Spannungsbogens. Aber die handwerklichen Regeln allein reichen nicht. Das gewisse Etwas, deine eigene Stimme und deinen künstlerischen Ausdruck kannst du nur durch Ausprobieren finden.

VA: Welche Interviewfrage würden Sie gern einmal hören? Was würden Sie antworten?
RG: Ich glaube nicht, dass es eine Interviewfrage gibt, die ich nicht schon gehört habe. ;-)

Herzlichen Dank, Frau Gablé.



Von Vera Anders, die im Rheinland lebt und dort sprachlich und kreativ unterwegs ist.