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»Mit Storytelling holen wir Menschen emotional ab«

13.01.2021

Bloginterview mit Vanessa Kahles von »navigate by fiction«

Wie gestalten wir Zukunft? Meine Interviewpartnerin, Beraterin Vanessa Kahles von EQU:WIN aus München setzt mit ihrem Team auf Kollaboration, die durch Geschichten Form und Richtung bekommen soll. »navigate by fiction« heißt der spannende Prozess, bei dem ich als Workshop-Autorin auch einmal mit dabei war. Was das Ganze so interessant macht, erzählt Vanessa uns im Interview.

V.A.: Vanessa, Ihr habt ein faszinierendes Konzept entwickelt. Erklär mal: Was steht hinter dem Begriff »navigate by fiction«?
V.K.: »navigate by fiction« ist ein Kind der Krise. Verschiedene kreative Köpfe haben sich im März Gedanken gemacht, was Menschen in Unternehmen, Organisationen und Verwaltungen helfen kann. Die Antwort unseres neu zusammengewürfelten Teams war ein co-kreativer Prozess, der Resilienz und Offenheit für die Gestaltung der Zukunft schafft. »navigate by fiction« macht handlungsfähig in Komplexität. Durch diesen Prozess werden Strategien und die notwendigen Veränderungsanforderungen zusammengedacht. Nicht zuletzt erzeugt der Prozess durch eine echte, gemeinsam geschaffene Entscheidungsfindung Motivation und Verbindlichkeit.

V.A: Wie kam es zu diesem Projekt? Was gehört dazu?
V.K: Im Lockdown haben wir zu zehnt etwas ausprobieren wollen, kamen auf unsere Idee und haben sie begeistert immer stärker weiterentwickelt. Schließlich entstand daraus ein kompletter Prozess. Heute erarbeiten wir danach mit sehr unterschiedlichen Kundengruppen Geschichten oder auch Narrative der Zukunft. Wir analysieren diese Geschichten und extrahieren daraus konkrete Maßnahmen und Lösungsansätze für spezifische Themenstellungen. Teil des Prozesses ist immer auch eine sogenannte »Lange Nacht der Geschichten«, eine »Zukunftskonferenz« und eine »Bibliothek der Zukünfte«. Auf der »Langen Nacht der Geschichten« werden die Geschichten der Zukünfte, die von den Teilnehmern kreativ erarbeitet wurden, präsentiert und diskutiert. Die »Zukunftskonferenz«, im Sinne eines Barcamps, hilft dann die Ideen und konkreten Lösungsansätze herauszuarbeiten. Und die »Bibliothek der Zukünfte« stellt kreativ die erarbeiteten Ergebnisse dar. Ein Beispiel dafür kann man sich hier anschauen: https://navigatebyfiction.com/bibliothek-der-zukuenfte.

V.A.: Worin und für wen seht Ihr den Nutzen von »navigate by fiction«? Was liebst Du, was liebt Ihr an Geschichten?
V.K: Ich sehe den Nutzen für Individuen und Teams in jedem Unternehmen, jeder Verwaltung und jeder Organisation. Unsere Erfahrung zeigt, dass sich viele Menschen immer noch in einer Schockstarre befinden oder von den Auswirkungen der Pandemie vollkommen überfordert sind. »navigate by fiction« hilft, den Geist zu öffnen, kreativ zu werden und sich neu und vor allem gemeinsam anders auszurichten. An dem Prozess liebe und bewundere ich, wie schnell es Mensch dadurch immer schaffen, die Perspektive zu wechseln, neue Wege denken und zu beschreiten und auch mutiger im Tun und Handeln zu werden. An den Geschichten selbst liebe ich, dass jede*r in eine andere Welt mit einem individuellen Protagonisten einsteigen kann. Das ermöglicht, unsere Denkmuster von »das geht doch so wieso nicht« oder »ach die Idee äußere ich lieber nicht, dass bringt doch bei uns eh nichts« auszutricksen und mehr mit dem zu arbeiten, was alles an Ideen in uns vorhanden ist.

V.A.: Welche Erfahrungen hast Du generell mit dem Thema »Storytelling« im Unternehmen? Wie können meine Leser*innen es vielleicht aus Deiner Sicht für sich nutzen?
V.K: Im Zuge von Veränderungs- und Transformationsprojekten nutzen wir Storytelling immer wieder, um Menschen Veränderungen näher zu bringen und komplexe Sachverhalte zu übersetzen. Die Leser*innen können Storytelling einsetzen, um ihre Zielgruppen nicht nur kognitiv, sondern auch emotional abzuholen. Leider vergessen wir, in unserer oftmals sehr strikten und sachlichen Arbeitswelt, dass Menschen nur dadurch erreicht und überzeugt werden, wenn sie etwas emotional fesselt. Emotional gefesselt werden Mensch allerdings nur, wenn man ihnen Sachverhalte über Erzählungen, Geschichten oder auch Narrative näherbringt.

V.A.: Im Laufe der letzten Monate habt Ihr schon viele Zukunfts-Geschichten gesammelt. Gibt es Gemeinsamkeiten, einen Tenor? Was stellt Ihr fest?
V.K.: Jede Geschichte, die wir innerhalb der Teams ausgearbeitet haben, ist einzigartig. Mal steht das Thema Digitalisierung mehr im Vordergrund, mal das gemeinschaftliche Miteinander, mal die lokale Wirtschaft. In einer Geschichte führen wir beispielsweise keine realen Beziehungen mehr. In dieser Welt findet ein Matching mit einem anderen Partner digital statt, und zwar nur, um die Fortpflanzung zu sichern. In einer anderen Geschichte Leben Menschen zukünftig in kleinen individuellen, generationsübergreifenden Kommunen, in denen alles für die Gemeinschaft geschaffen und erschaffen wird. Wie du siehst, sehr unterschiedliche Szenarien der Zukunft und alle unglaublich spannend.

V.A.: Schreibend über die Zukunft nachdenken und sie schließlich gestalten als Tool: Welche drei praktischen Tipps gibst Du hier?
V.K: Einfach machen und Worte zu Papier bringen. Wir neigen dazu, zu stark zu durchdenken, was wir im nächsten Moment tun, sagen oder aufschreiben. Kreativität entsteht daraus, Dinge auch mal laufen zu lassen. Dasselbe gilt fürs Schreiben. Der Coach in mir rät, mit dem Stift zu schreiben, anstatt mit einer Tastatur. Erfahrungsgemäß haben Menschen mehr Verbindung zu handschriftlich verfassten Inhalten. Die Ruhe während des Schreibens zu genießen und zu bemerken, wie sich Gedanken ordnen, wenn man sich die Zeit nimmt, sie aufzuschreiben.

Herzlichen Dank für Deine Zeit, liebe Vanessa.



Von Vera Anders, die im Rheinland lebt und dort sprachlich und kreativ unterwegs ist.